Rückblick 2010 *könnte triggern, Zahlenangaben und klare Beschreibungen*

Bin zwar ein bisschen spät dran, aber wollte mein Jahr trotzdem noch ein bisschen zusammenfassen.
Und irgendwie brauche ich den Abschluss, bevor ich dazu komme, was sich in mir innerlich verändert hat.
Ok, ich glaube, es hat sich auch gar nicht so viel verändert, es ist nur etwas, ein Samen, der in mir steckte, endlich aus der dunklen Frühlingserde hervorgebrochen. Naja, Schluss mit diesen Andeutungen, was war mein Jahr 2010?

Das Jahr der Essstörungen

Ich habe mit 66 Kilo angefangen, oberes Normalgewicht für meine Größe, und dachte schon, es könnte nicht schlimmer kommen, fühlte mich fett. Überlegte, so lange nichts zu essen, bis ich schlank sein würde. Fing doch an, langsam abzunehmen, bis ich dann etwa im April keine Lust mehr hatte und ziemlich krass mit Hungern und Monodiäten anfing. Kam dann auf mein Tiefstgewicht für das Jahr, 56 Kilo (irgendwie frustrierend, wenn man bedenkt, dass das mein Normalgewicht vor der ES war).
Schaffte hübsche persönliche Rekorde im Sportbereich, 6,5 Kilometer täglich joggen mit unter 400 kcal Nahrungsaufnahme. 11 Kilometer joggen nach einem Fressanfall. 65 Kilometer Radfahren nach einem anderen Fressanfall.
Und dann ging irgendetwas in mir vollends kaputt, das war wohl einfach übertrieben schnell alles abgenommen, und ich fing an zu fressen. Wollte mir meinen Erfolg nicht kaputt machen und schob immer wieder ein paar Tage ohne Essen ein. Und fraß weiter. Kotzte experimentellerweise mal eine Woche. Hörte wieder auf und fraß weiter. Landete bei ungefähr 72 oder 73 Kilo, also Übergewicht, in echt, nicht nur eingebildet. Und reduzierte mein Essen gegen Null, und rutschte kurz darauf in die Bulimie. Fraß und kotzte eigentlich nur, um mir die Illusion zu verschaffen, dass ich etwas essen würde. Dann erreichte ich mein Zwischenziel für vor Weihnachten und dachte mir, ich könnte ja wieder ein bisschen essen. Stattdessen wurden meine Fressanfälle wieder größer, ich bemühte mich nicht mehr, alles restlos rauszukotzen, und ich fraß nach dem Kotzen weiter, landete auf öffentlichen Klos, kotzte weiter.
Und schaffte meinen Fressrekord, über 7000 kcal. Ohne Kotzen.
Und beendete das Jahr wieder mit dem gleichen Gewicht, wie ich es angefangen hatte, 66 Kilo.

Aus Sicht der ES ein verlorenes Jahr, ich war zu doof zum Abnehmen. Aus Sicht der Gesundheit ein verlorenes Jahr, ich habe meine Symptome verschärft.

Das Jahr der Einsamkeit und Depressionen

Ein bisschen Außenseiter war ich schon immer, aber 2010 wurde es schlimmer. Auf der Uni lief ich immer mit demselben Mädchen herum, und sie war dann plötzlich sehr oft krank. Dazu gehörte auch noch mein Exfreund, und ihm ging ich aus dem Weg. Eine andere Freundin engagierte sich sehr für die Fachschaft, sie hatte keine Zeit. Und meine alte Schulclique sah ich einmal im Monat. Ich war allein, machte lange Spaziergänge und hörte Deprimusik. Schlich durch die Uni, ging kurz in die Vorlesungen und sah vorher und nachher kaum jemanden an, sprach mit niemandem. Ging wieder nach Hause und sperrte mich in meinem Zimmer ein. Oder ich machte lange Fahrradtouren, das einzigste, was mir noch Freude machte. Ich mochte meine Familie nicht mehr, sprach auch mit ihnen kein Wort mehr.
An den Wochenenden und in den Semesterferien wurde es schlimmer. Ich verbrachte die Nächte vor dem Computer, tagsüber schlief ich. Ich las alle Depri-Blogs, ließ mich immer mehr triggern. Oder ich lag einfach rum und starrte die Wand an. Schlich wie ein Gespenst durchs Haus, wenn ich mal essen brauchte oder aufs Klo musste. Hoffte, dass ich endlich sterben würde. Dachte mir, es würde daran liegen, dass ich bei meiner Familie wohnte, und wollte ausziehen. Oder auswandern. War innerlich schon lang weg. War innerlich schon lang tot.
Und suchte verzweifelt nach Möglichkeiten, doch noch leben zu können.

Ein Jahr ohne Leben.

Das Jahr der Siege über mich selbst

Ich schaffte es endlich, zuhause auszuziehen, ein neues Leben im Ausland anzufangen. Nachdem ich jahrelang so viele Pläne gemacht hatte, schon Wohnungen in anderen Städten gefunden hatte, wagte ich es endlich, meine Pläne auch durchzuziehen.
Ich wollte wieder fliehen, als die ersten Probleme in meiner Gastfamilie auftraten, und ich habe wieder über mich gesiegt. Ich habe es geschafft, alles zu meistern, ich habe es geschafft, dass meine neue Familie mich endlich mag, dass die Kinder mich mögen und respektieren. Ich habe mir meinen Platz in dieser Familie geschaffen, ich habe mir meinen Platz im Leben geschaffen.
Ich reiste Weihnachten nach Hause, mit Angst im Hinterkopf, wie ich nun mit einer Familie zurechtkommen würde, die ich so lange Zeit von mir gestoßen hatte. Und ich kam gut mit ihnen klar, eine Aura von Erfolg und Erwachsensein und mit dem Leben endlich fertig werden umgab mich.

Nein, es war kein verlorenes Jahr, es war vielleicht eines der wichtigsten in meiner Persönlichkeitsentwicklung, in meinem Weg zum Ich.
Ich bin eine Person geworden, eine Person, die zwar noch mit vielen Makeln kämpfen muss, aber letztendlich doch klarkommen wird.

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